“In der Nacht zum Samstag, den 21. November 1992, erstechen Jugendliche aus der rechten Szene Silvio Meier.
Im U-Bahnhof Samariterstraße treffen ihn drei Messerstiche in die Lunge, zwei seiner Freunde werden durch Stiche in den Rücken und in die Beine verletzt.Der 27-jährige Silvio Meier war antifaschistischer Aktivist in der „Kirche von Unten“ (KvU), in der Friedensbewegung der DDR, Wehrdienstverweigerer und Hausbesetzer.
Er bewohnte ein besetztes Haus in der Schreinerstraße und arbeitete in einer benachbarten Druckerei.
Auf dem Weg zur Disco treffen Silvio Meier und drei Freund_innen in der Nacht zum 21.11.1992 auf dem U-Bahnhof auf eine Gruppe junger Neonazis.
Sie möchten, dass einer seinen Aufnäher „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ abnimmt.
Es kommt zu einer Rangelei.
Als die Gruppe um Silvio Meier später den U-Bahnhof verlassen will, treffen sie erneut auf die rechten Jugendlichen.
Diese ziehen unvermittelt Messer und stechen auf Silvio Meier und seine Begleiter ein.
Passant_innen und Mitarbeitende der BVG sowie zwei Bahnpolizisten kommen den Verletzten nicht zur Hilfe.
Silvio Meier stirbt kurz darauf an seinen schweren Verletzungen.
Noch in der gleichen Nacht versammeln sich 150 Personen zu einer Demonstration,
auf dem U-Bahnhof wird eine ständige Mahnwache errichtet. Am Samstag nehmen rund 600 Menschen an einer antifaschistischen Demonstration durch Friedrichshain teil. Auch am Sonntag beteiligen sich mehr als tausend Personen an einem Trauermarsch, darunter viele Anwohner_innen.
Die Polizei hatte den politischen Hintergrund der Tat zunächst verschwiegen.
In der ersten Polizeimeldung ist die Rede von „zwei rivalisierenden Jugendgruppen“, die sich eine Messerstecherei geliefert hätten.
Der 17-jährige Haupttäter Sandro S. stellte sich am Montag nach der Tat der Polizei.
Bei seiner ersten Vernehmung gab er an, das Messer habe er zuerst Silvio Meier entwendet und dann zugestochen – eine Version des Geschehens, die vom Leiter der Mordkommission zunächst als glaubwürdig erachtet wurde. Später widerrief der Beschuldigte seine Aussage.
Erst durch die Pressemitteilung von Freund_innen Silvio Meiers, in der sie zu der Darstellung um vermeintliche „Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Jugendbanden“ Stellung beziehen, kommt eine andere Version an die Öffentlichkeit: Darin widersprechen sie der Darstellung, dass die Gruppe um Silvio die Jacke des Neonazis beschädigt oder einen der jugendlichen Neonazis geschlagen habe. Beim zweiten Aufeinandertreffen wurde ohne Wortwechsel unvermittelt auf den unbewaffneten Silvio Meier eingestochen.
Am 1. Oktober 1993 verurteilte das Gericht den Hauptangeklagten wegen Totschlags zu viereinhalb Jahren Gefängnis.
Die beiden anderen 17- und 18-jährigen Täter erhielten Haftstrafen in Höhe von dreieinhalb Jahren wegen versuchten Totschlags und 8 Monaten wegen Körperverletzung und Beteiligung an einer Schlägerei.
Die Verhandlung und der Urteilsspruch fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Zunächst hatte der vorsitzende Richter auch der Verlobten von Silvio Meier den Zutritt verweigert. Eine Nebenklage war nicht möglich, da es sich beim Prozess um ein Jugendstrafverfahren handelte.
Ein Freund Silvio Meiers, der den Angriff überlebt hat, bekräftigte nach der Verurteilung:
„Es war Mord und versuchter Mord, sie wollten uns abstechen.“
Seit 1992 findet jedes Jahr am Todestag eine Mahnwache am U-Bahnhof Samariterstraße statt. Freund_innen von Silvio Meier hatten nach der Tat eine Gedenktafel am ehemaligen Tatort angebracht, die seither mehrfach von Neonazis geschändet wurde oder bei Bahnhofsanierungen verschwand.
Nach Protesten wurde von der BVG eine Gedenktafel im Mauerwerk verankert.
Die jährlich stattfindende antifaschistische Silvio-Meier-Demonstration richtet sich gegen aktuelle Neonazistrukturen in der Stadt, sowie gegen Rassismus und die Verdrängung aus den Kiezen.
Insbesondere in den letzten Jahren waren auch selbstkritische Stimmen innerhalb der antifaschistischen Bewegung zu hören.
In einer Broschüre, die anlässlich des 20. Todestages publiziert wurde, kritisieren die Autor_innen das ritualisierte Gedenken und eine Heroisierung Silvio Meiers:
„Die Kritik, dass die Demonstration zur hohlen Form oder zum Ritual verkommt, ist ebenso berechtigt, wie, dass es einem autonomen Politikstil nicht bekommt, eine Person zum Märtyrer zu verklären. […]
Oft geht die Kritik von den Menschen aus, die mit der Demonstration zu tun haben.
Es ist das schlechte Gewissen, diesen Todestag „auszunutzen“, verbunden mit dem Wissen, dass es schade wäre, eine erfolgreiche Antifademonstration aufzugeben.“
Auch Freund_innen Silvio Meiers haben insbesondere vor dem Hintergrund vor dessen politischer Verortung in der DDR-Opposition die Reduzierung und Vereinnahmung ihres Freundes als Antifaschisten oder „linken Aktivisten“ kritisiert.
Jenseits der jährlichen Demonstration gelang der „Initiative für ein aktives Gedenken – Straßenumbenennung“ im Jahr 2013 gemeinsam mit zahlreichen Unterstützer_innen die Umbenennung der Gabelsberger Straße in Silvio-Meier-Straße.
Seit 2016 vergibt das Bezirksamt und die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg den Silvio-Meier-Preis an Menschen, Verein und Projekte, die sich in herausragender Weise gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung einsetzen.”
#SilvioMeier #KvU #Schreinerstraße47
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Klaus
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